Eine Woche im Offline Dorf - ein Erfahrungsbericht

 Gelesen und direkt gebucht, so startet die Geschichte. Sie führt mich in das weltweit erste Offline Dorf, ein 5 Tages-Retreat, das wissenschaftlich fundiert einen nachhaltig gesunden Umgang mit Smart Devices fördert. Nun lande ich gerade wieder in der digitalen Welt und spüre dem Erlebten nach.

 

Smartphone abgeben und Eintauchen in die Offline Bergwelt

 

Es begann mit der Abgabe meines Smartphones und endete mit einem unbekannt intensiven Eintauchen mit mir zunächst fremden Menschen in die traumhafte Welt eines kleinen österreichischen Bergdorfes namens Gargellen. Was sich zunächst seltsam ungewohnt anfühlte in unserer so digital gewordenen Welt, wurde zu einem ganz besonderen Erlebnis, was heute – einen Tag nach meiner Rückkehr – intensiv schön nachwirkt. Zugegeben, ich habe mich am ersten Tag noch oft dabei ertappt, unbewusst an meine Hosentausche zu fassen um nach meinem Handy zu suchen. Als ich dort nur den überdimensionalen Zimmerschlüssel Anhänger des Hotels fand, der nur zufällig die Größe meines Smartphones hatte, musste ich schmunzeln. Wie intuitiv überbrücken wir Momente der Langeweile mit dem Griff zu unserem Handy. Was verhaltenspsychologisch schlau gemacht ist, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen, hat für uns die Folge, dass wir nach jedem Handyscrollen ca. 20 Minuten benötigen, um da weiterzumachen, wo wir gerade z.B. bei einer Aufgabe waren. Schnell ausrechenbar, wenn wir 50- bis 100-mal oder sogar mehr am Tag Studien zufolge zum Handy greifen. Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie, in der unser wichtigstes Gut Zeit und Aufmerksamkeit geworden ist. Damit bewusster umzugehen, war Ziel meines Eintauchens in das Offline Dorf.

 

Die für mich attraktiv klingende Beschreibung des Offline Dorfes besagte, dass wir auf eine Entdeckungsreise gehen, in der wir mit den Bausteinen Bewegung, Entspannung, Kreativität und sozialer Austausch. eine nachhaltige Resilienz fördern. So begann Tag 1 mit einer Bewusstseins-Wanderung, auf der wir uns auf unsere Sinne (Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken) konzentrierten, gefolgt von einer Tour, die uns die heimischen Kräuter und Pilze erklärte und deren Wirkung näherbrachte. Ich kenne das aus meiner Kindheit vor Tschernobyl und habe Pilze sammeln immer geliebt. Nicht nur weil wir diese danach lecker zubereitet haben, sondern auch, weil ich das Gefühl mochte, durch den Wald zu streifen und Pilze aufzuspüren. Das war eine Mischung aus Neugier, Entdeckergeist und Entspannung für mich. So war es auch im Offline Dorf und dazu kam, dass unsere gesammelten Kräuter und Pilze für uns regional typisch zubereitet wurden. Genossen haben wir das optisch wie kulinarisch beeindruckende Menü an einem langen kerzenumsäumten Tisch inmitten des weiten Tales bei Sonnenunter- und Sterneaufgang. Einen besseren Start hätte ich mir nicht vorstellen können.

 

Ein lebensveränderndes Erlebnis

 

Tag 2 beinhaltete – ohne, dass ich es vorahnen konnte – ein lebensveränderndes Geschenk und Erlebnis für mich. Aber der Reihe nach: Begonnen haben wir den Tag mit einer frühmorgendlichen Wanderung in Stille entlang eines traumhaft schönen Bachlaufes. Da ich Meditation am Morgen nach dem Aufstehen liebe, war das ganz nach meinem Geschmack...völlig eintauchen in die Magie der Natur mit allen Sinnen. Am Ende der Wanderung landeten wir in einem Hochtal, wo schon Yogamatten für alle die, die Yoga gewählt hatten, auf uns warteten. Zugegeben, Yoga in der Natur ist um einiges reizvoller als in den eigenen vier Wänden, doch mein Highlight der Woche folgte darauf. Mit Hilfe des Weltrekordhalters im Eisschwimmen Josef Köberl lernten wir, wie man bewusst und angeleitet in einem eiskalten Gebirgsbach badet. Wir hatten einen sonnigen Tag erwischt, doch der erste Kontakt mir dem eiskalten Wasser ließ mich zurückschrecken. Unmöglich sagte mein Verstand. Doch ich lernte, dass unsere Hautzellen in der Kommunikation mit unserem Gehirn zwischen warm und kalt nicht unterscheiden können und wie wir mit bewusster Atmung und einer ganz langsamen Gewöhnung, das Eisbaden lieben lernen können. Nur soviel: Ich habe es am letzten Tag des Offline Dorfes gleich nochmal gemacht und es hatte wieder den gleichen Effekt: Ein tiefes Glücksgefühl gepaart mit einem tief entspannenden Schütteln nach dem Baden. Knapp 30 Minuten war ich im Gebirgsbach und hatte teilweise das Gefühl in einer Thermalquelle zu baden. Was ist noch alles möglich, wenn mein Gehirn sich so trainieren und fokussieren lässt?

 

Tag 2 wurde abgerundet mit einer Kreativ-Wanderung, bei der wir unser Verhältnis zur Natur, den Tieren und Pflanzen reflektierten. Intuitives Schreiben gehörte genauso dazu wie kreatives Malen und einem bewussten Perspektivwechsel. Wir tun manchmal so als ob wir unabhängig von der Natur sind, dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Wir sind ein Teil davon und leben z.B. erst 1% unserer Zeit als Menschen auf dieser Erde in Gebäuden. Den Rest haben wir in der Natur und im Einklang mit ihr gelebt. Eine spannende Frage, war daher, was z.B. ein Fluss über uns sagen würde? Wäre es nicht nur konsequent, wenn die Natur gleichberechtigt bezüglich aller Rechte, die wir auch haben, ist? Das würde sie vom reinen Objekt (wie es in Artikel 20a im deutschen Grundgesetzt geregelt ist) zum Rechtssubjekt machen, welches seine Rechte selbständig einfordern, einklagen und durchsetzen kann. Einige Länder gehen bereits mit diesem guten Beispiel voran.

 

Was macht das Offline Dorf so besonders

 

Am Tag 3 durften wir kennenlernen, was das Offline Dorf so besonders macht. Denn alle Aktionen wurden durch die unterschiedlichsten Akteure des Dorfes gemeinsam kokreativ gestaltet. Kooperation statt Konkurrenz ist das Motto vieler Touristikakteure dieses besonderen Dorfes und das war durch und durch spürbar. So haben nicht nur Köche der unterschiedlichen Hotels gemeinsam für uns gekocht, sondern viele Akteure haben Offline Dorf Programmpunkte aktiv mitgestaltet. Es ist ein echtes Gemeinschaftsprodukt, was ich so selten im Tourismus erlebe. Das dies durchaus in der DNA des Dorfes liegt erklärte uns Friedrich auf der Wanderung entlang des Gargellener Fensterweges. Auch dies ist ein Gemeinschaftsprojekt der Dorfgemeinschaft, um ihre Historie auf einer traumhaften Dorfumrundungs-Wanderung erlebbar zu machen. Dieses Verständnis von Tourismusentwicklung hat mich persönlich sehr berührt, denn ein touristisches Produkt wurde das Offline Dorf erst dadurch wirklich. Linda Meixner, die als erfolgreiche Influencerin mit der Gründung ihres Offline-Instituts eine radikale Wende vollzog, hatte diesen Gedanken in das Tal getragen und damit viele inspiriert. Linda stieg selbst für 66 Tage - die Zeit wir laut Wissenschaftlern brauchen um unsere Gewohnheiten zu ändern - aus der digitalen Welt aus und fasste ihre Erkenntnisse in einem Offline Manifest zusammen. Dieser Selbstversuch war der Beginn ihrer offline Aktivitäten. Daraus wurde nun ihre Doktorarbeit, das erste Projekt Offtober (ein Monat ohne Social Media) sowie als zweites Projekt das Offline Dorf.

 

Spannende Impulse von Forschern und Experten/innen

 

Immer wieder gab es spannende Impulse von Forschern und Expertinnen zum Thema digital Detox und Resilienz, u.a. durch die Wissenschaftler vom ISAG, dem Institut für Sport-, Alpinemedizin und Gesundheitstourismus, sowie Lesungen. So las Anna Miller aus ihrem Buch „Verbunden“ und gab uns viele Tipps mit auf dem Weg. Ich habe mitgenommen, dass unser digitales Verhalten sehr viel mit unserem realen Leben zu tun hat. Wenn wir uns verbunden fühlen, würden wir vielleicht weniger nach Verbindung im digitalen Raum suchen. Im Offline Dorf ist mir aufgefallen, dass ich mehr Zeit hatte, das Leben wirklich zu spüren. Die Gespräche waren sehr schnell tiefgreifend und ehrlich, ohne die sonst üblichen Masken. Es könnte an den Menschen gelegen haben, doch meines Erachtens lag es daran, dass wir uns weniger abgelenkt haben, mehr präsent waren. Wir hatten uns, hatten Zeit und Neugier, rauszufinden was Leben im Hier und Jetzt bedeutet, wer wir sind ohne online zu sein. Ich kann heute am Tag meiner Rückkehr sagen, dass dieses Gefühl mich weiter trägt: Es ist ein sattes, tiefenentspanntes Glücksgefühl, physiologisch wahrscheinlich mit der Ausschüttung von Dopamin und Serotonin verbunden, welches wir durch die Offline Dorf Aktivitäten bewusst aktiviert haben.

 

Den sportlichen Abschluss bildete eine kleine Wanderung inklusive einem Klettersteig in einer nahen Bachklamm. Zugegeben es war anspruchsvoller als ich gedacht hatte, denn angeleint eine Wand hochzuklettern, hat mich psychisch mehr gefordert als physisch. Was passiert, wenn ich aus dem Tritt komme...wie tief falle ich? Umso schöner war das Gefühl, es geschafft zu haben. Nachmittags blieb Zeit, das Erlebte in unserem Offline Journal zu reflektieren, um dann die Woche am Lagerfeuer mit Stockbrot, Gitarrensounds und schönen Gesprächen ausklingen zu lassen. Dabei gab es erneut einen spannenden Impuls von Gerhard Moser mit der Frage, ob es eine Strategie gibt, um Körper, Geist und Seele mit einfachen Methoden zu Höchstleistungen zu bewegen?

 

Das Dilemma unserer Zeit

 

Gerhard erklärt uns zunächst das Dilemma unserer Zeit. Unser Körper hat gute Antworten auf die bekannten Stressoren wie Hitze, Kälte, Lärm oder Hunger gefunden. Diese waren singulär, zeitlich begrenzt und physischer Natur. Die Stressoren unserer aktuellen Zeit, wie z.B. unser übermäßiges digitales Leben, sind dagegen multifaktoriell, zeitlich nicht begrenzt und psychisch. Das führt dazu, dass unser Immunsystem 24/7 aktiviert ist. Bedenkt man nun, dass unser Gehirn und unser Immunsystem jeweils 40-50% unserer Energie verbrauchen, dann erklärt das die Challenge unseres 21. Jahrhunderts. Wir brauchen mehr Energie und das auf Kosten anderer Organstrukturen wie Herz, Niere oder Lunge. Ein „Trick“ schnellerer Energieproduktion unseres Körpers ist, die Darmzotten „aufzureißen“, ein Phänomen, welches unter dem Begriff Leaky-Gut-Syndrom bekannt ist. Das öffnet jedoch die 1. „Verteidigungslinie“ unseres Körpers. Dieses Syndrom zusammen mit dem überforderten Immunsystem ist die Ursache vieler Krankheiten unseres Jahrhunderts.

 

Der zweite Teil des Vortrages begründete rückwärts, was und warum wir die Woche so erlebt haben. Die Reduzierung der Stressoren, wie z.B. die Blaulichtstrahlung unserer Handys und Laptops, verbunden mit moderater täglicher mindestens 30-minütiger Bewegung in der Natur sind die besten Antworten. Viele weitere Tipps sind bekannt und leicht machbar: Morgens nach dem Aufstehen 0,5-0,7 Liter Wasser trinken und den Resttag 1 Liter je 25 kg Körpergewicht, 10 Stunden vor dem Schlafen kein Kaffee und 2 Stunden vorher nicht mehr Essen, ein Blaulichtfilterbrille anschaffen, kohärente Atmung (5 Sekunden ein-, 5 Sekunden ausatmen) praktizieren, viel Kauen beim Essen, kurze sportliche Übung vor dem Essen und kalt duschen oder sogar baden. Alles gar nicht so kompliziert. Und mit meinem neuen Faible für Eisbaden bin ich ja voll im Trend.

 

Die touristische Bedeutung des Offline Dorfes

 

Touristisch finde ich das Offline Dorf aus mehrfacher Sicht sehr spannend. Es ist attraktiv gerade für ländliche und dünn besiedelte Gebiete, die oft viele Herausforderungen haben, und gleichzeitig steigert es die Attraktivität für Arbeitsplätze in diesen Räumen. Am meisten jedoch hat mich beeindruckt, wie es mich als Teilnehmenden inspiriert hat, über meinen digitales Verhalten bewusster nachzudenken. Und das nicht dogmatisch, sondern inspirierend, gerade weil ich es live erlebt habe. Sicher würde es Touristen bei dieser Erfahrung ähnlich gehen.

 

Wir leben in einer entscheidenden Zeit, in der Vieles auf dem Spiel steht. Wie werden wir uns und unsere Umwelt weiterentwickeln oder weiter zerstören. Da hilft es, wenn wir weniger online und bewusster offline sind. Denn das Leben passiert, wenn wir weniger scrollen und mehr leben. So haben wir auch mehr Zeit und vor allem Bewusstheit, über die wirklich wichtigen Fragen nachzudenken und gemeinsam Lösungen zu finden. Oder mit den Worten von Linda Meixner, Gründerin des Offline Institutes, ausgedrückt: "Wenn unser Gehirn nur über ein bestimmtes Limit an Aufmerksamkeit verfügt, was passiert dann mit uns, wenn unser Leben und Alltag durch das Smartphone ständig fragmentiert und unterbrochen wird? Wir spüren dadurch uns selbst nicht mehr. Unsere Bedürfnisse, Wünsche und Ziele bleiben auf der Strecke. Wir leben das Leben folglich weniger intensiv und lebendig. Das wirkt sich auf alles aus, was wir tun."

 

Ich jedenfalls habe es voll genossen und stelle mir nun die Frage, was und wie ich dies besser in meinen Alltag integrieren kann. Wie sagte Anna Miller so schön: „Wer auf einen Berg klettert, der war erst oben und hat den Gipfel erklommen, wenn er wieder unten ist.“ Wir sind also erst bewusster im digitalen Konsum, wenn wir es nicht nur im Offline Dorf leben können, sondern in der täglichen Praxis.

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